Redebeiträge und Zusammenfassung der Kundgebung „Schluss mit tödlicher Polizeigewalt“

Redebeitrag Kritische Jurist:innen

Hallo, ich bin Robin von den Kritischen Jurist*innen der FU Berlin.

Der Anlass warum wir heute hier zusammengekommen sind macht mich wütend, traurig und fassungslos zugleich. Meine Gedanken sind bei den Opfern und ihren Angehörigen.

Bei dem 23-jährigen Schwarzen Mann aus Frankfurt, der in seinem Hotelzimmer am 2.8. von der Polizei erschossen wurde. Bei Jozef, dem 48-jährigen Straßenmusiker aus Köln, der am 6.8. in seiner Wohnung während einer Zwangsräumung durch Zivilbeamte erschossen wurde. Bei dem 39-jährigen Mann aus dem Kreis Recklinghausen, der am 8.8. in seiner Wohnung mit Pfefferspray und körperlicher Gewalt von der Polizei traktiert wurde bis er wenige Stunden später im Krankenhaus starb. Und bei Mouhamed Lamine, der gerade mal 16 Jahre alt wurde, bevor er von der Polizei am 8.8. in der Dortmunder Nordstadt erschossen wurde. Vier Tote in sieben Tagen. Vier mal kommt die Polizei in eine Situation ohne Fremdgefährdung und vier mal ist ein Mensch wegen ihnen gestorben. Unfassbar.

Der Tod von Marcel K. liegt noch nicht lange zurück, wir wir erinnern uns auch an Maria B., an Hussam Fadl…. die Liste der Todesopfer von Polizeigewalt in Deutschland ist lang, zu lang. Doch jedesmal geschieht im Nachgang solcher Fälle nichts. Einige Fälle werden vertuscht, in anderen werden Ermittlungen aufgenommen und jedes Mal nach kurzer Zeit ergebnislos wieder eingestellt. Ein untragbarer Zustand, in dem Tötungen im Amt fast nie zu Konsequenzen führen. Dass es eine Veränderung auch in der Praxis der Justiz bei solchen Fällen braucht ist uns denke ich allen klar, jedoch auch wissenschaftlich nachzuvollziehen.

Seit 2018 untersucht ein kriminologisches Projekt die sog. „Körperverletzung im Amt durch Polizeibeamt*innen“, kurz KviAPol, empirisch. Ein einzigartiges Projekt, wird polizeiliches Fehlverhalten in Deutschland doch kaum wissenschaftlich untersucht. So wurden erstmals systematisch Daten zu Betroffenen rechtswidriger polizeilicher Gewaltausübung erhoben. Dabei kam es zu verschiedenen Ergebnissen die für uns heute auch interessant sind wie ich denke. Bei Todesfällen durch Polizeieinsätzen wird – wenn überhaupt – nämlich meist ein Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzung mit Todesfolge eingeleitet.

In den weit überwiegenden Fällen wird Körperverletzung im Amt nur dann sichtbar, wenn eine Anzeige erstattet wird. Die Fälle, die angezeigt werden, werden so den Ermittlungsbehörden bekannt und tauchen in der Statistik auf. Diese Fälle werden als Hellfeld bezeichnet. Die Studie zeigt: nur 14% der berichteten Fälle von übermäßiger physischer Gewalt werden angezeigt, in 17 von 20 Fällen passiert auf juristischer Ebene gar nichts. Von der Studie auf die Gesamtgesellschaft übertragen, kann man davon ausgehen dass das Dunkelfeld mindestens fünfmal so groß ist wie das Hellfeld.

Die vier meistgenannten Gründe gegen eine Anzeigenerstattung waren der Glaube, dass eine Anzeige gegen Polizistinnen zu nichts führen würde; die Nichtidentifizierbarkeit der Täterinnen; die Angst vor einer Gegenanzeige und mangelnde Beweise. Das Vertrauen in eine staatliche Aufarbeitung des Geschehens war bei den Befragten also gering ausgeprägt.

Wie sollte es auch anders sein? Denn von all denen Anzeigen die doch aufgegeben werden, landen gerade einmal 2% vor Gericht, d.h. es kommt zu einer Anklage. In Situationen mit vergleichbarer Beweislage wie einfacher Körperverletzung oder Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, bei denen auch meist Aussage gegen Aussage steht, ist diese Quote aber bei 25%!

Und Verurteilungen? Die Verurteilungswahrscheinlichkeit von Polizist*innen die vor Gericht landen ist nur halb so groß wie in ähnlich gelagerten Fällen von „Normalbürgern“. In der Kombination bedeutet dies:

Von 2020 Polizist*innen die im Jahr 2018 wegen Körperverletzung im Amt Anzeigen kassiert haben, wurden gerade einmal 7 verurteilt! Und das ist nur das Hellfeld!

Das sind auffallend und ungewöhnlich niedrige Quoten, die sich vor allem durch die besondere Behandlung von Polizeizeugen vor Gericht sowie den in den Sicherheitsbehörden existierenden Korpsgeist erklären lassen, wo ein Beamter den anderen deckt. Ich denke, dass es vor diesem Hintergrund mangelnder Strafverfolgung nicht überrascht, wenn Beamte einer rassistischen und teils rechtsextremen Behörde im Alltag übermäßig oft unverhältnissmäßige Gewalt anwenden die immer wieder auch zum Tod von Menschen führt.

Und wenn nun die Polizei Recklinghausen wegen Körperverletzung mit Todesfolge in Dortmund ermittelt und andersherum, können wir schon vermuten dass auch diese besonders extremen Fälle polizeilicher Gewaltexzesse zu keinen juristischen Konsequenzen führen werden.

Darum fordern wir:

  • die Hinzuziehung von geschultem Personal in psychischen Notlagen statt gewaltbereiten Polizist*innen!
  • die Einrichtung einer unabhängige Beschwerde- und Untersuchungsstelle mit weitreichenden Ermittlungsbefugnissen gegenüber der Polizei!
  • eine lückenlose Aufklärung der Ereignisse der letzten Tage!
  • Gerechtigkeit für alle Opfer von Polizeigewalt!

Danke


Übersicht (Start bei dem Radioprogramm / Text auf Seite…):

Death in Custody (13:50)
Migrantifa (22:49 / S. 2)
Kritische Jurist:innen (28:40 / S. 3)
KOP und Reach Out (35:03)
Ihr seid keine Sicherheit (41:34 / S. 4)
Justice for Mohamed Idrissi (45:49 / Seite 5)
Rote Hilfe Berlin (S. 6)