Entstehung und Anwendung des §129a

von Rechtsanwalt Martin Heiming

§129a StGB wurde (zusammen mit anderen neuen Vorschriften – dazu unten) im August 1976 durch ein (weiteres) Strafrechtsänderungsgesetz eingeführt, das von Anfang an als »Anti-Terroristen-Gesetz« bezeichnet wurde und Mitte der 1970er-Jahre eine »maßgeschneiderte Antwort auf den Terrorismus der RAF« sein sollte (so damals im Bundestag formuliert).

Der neue Paragraf stellte das Gründen einer terroristischen Vereinigung unter Strafe, die Mitgliedschaft, die Unterstützung und das Werben. Mindestens drei Mitglieder sind für eine solche Vereinigung nötig, deren Zweck oder Tätigkeit darin besteht, bestimmte Straftaten zu begehen; §129 a enthält insoweit einen Straftatenkatalog (Tötungsdelikte, Entführung und gemeingefährliche Straftaten wie Brandstiftung, Herbeiführen einer Explosion …).

§129a bedeutet dabei eine Vorverlagerung von Strafbarkeit: Das deutsche Strafrecht bestraft normalerweise den Versuch oder die Vollendung bestimmter Taten, die verboten sind; hier setzt die Strafbarkeit bereits im Stadium der Vorbereitung ein, wenn noch gar nichts geschehen ist; ja bestimmte Straftaten müssen sogar noch nicht einmal geplant sein. Da auch Unterstützen und Werben strafbar sind, konnten auch Menschen bestraft werden, die beispielsweise durch bloße Meinungsäußerung auch nur andeutungsweise ihre Sympathie für die RAF bekundeten, denn der Bundesgerichtshof schrieb in einem Urteil fest, dass Unterstützung vorliegt, wenn eine Handlung für die Vereinigung »irgendwie vorteilhaft« ist. Strafrechtswissenschaftler haben dies schon im Gesetzgebungsverfahren – vergeblich – kritisiert. Aus den Protokollen des Rechtsausschusses des Bundestages zum damaligen Entwurf dieser Vorschrift ist zu zitieren:

»Um vereinzelte Ziele zu treffen, sieht der Entwurf Flächenbombardements vor. Unsicher ist, ob er seine Ziele trifft, sicher aber, dass er gewaltige Verluste an Rechtswerten anrichtet, die jedenfalls vermeidbar wären«

(Prof.Dencker, 101. Sitzung des Ausschusses).

»Die Ausgestaltung des §129a StGB wurde damit begründet, dass man der Beweisnot Rechnung tragen wollte, und es wurde gesagt, im Grunde sei das auf diejenigen gemünzt, denen man konkrete Taten nicht nachweisen könne (…) Damit führt man die kaschierte Verdachtsstrafe ein (…) Dagegen sei zu erinnern, dass wir die Verdachtsstrafe schon seit mehr als 200 Jahren abgeschafft haben«

(Prof. Grünwald, 95. Sitzung).

Änderungen der StPO

Flankierend gab es weitere Gesetzesänderungen z.B. in der Strafprozessordnung (StPO).

§112 StPO regelt die Untersuchungshaft, die bei dringendem Tatverdacht und einem so genannten Haftgrund, also Flucht- oder Verdunklungsgefahr, angeordnet werden darf. Nun wurde §129a StGB als Haftgrund per se eingeführt, d.h. allein der dringende Verdacht einer Tat nach §129a führt ohne Umwege zur Haft. Und in der Haft wurde dann jeder »Terrorverdächtige«, anders als „normale“ Untersuchungsgefangene, total überwacht durch die – zusätzliche – Kontrolle der Verteidigerpost.

Gefangene werden überwacht und kontrolliert, das ist Zweck des Gefängnissystems. Ausgenommen bleibt aber der Kontakt, auch der schriftliche, zum Verteidiger. Dies wurde nun geändert: die Post ist gemäß §§148 Abs. 2, 148a StPO einem Kontrollrichter vorzulegen, der sie auf so genannte Kassiber oder versteckte Mitteilungen überprüfen soll. In der Praxis führte dies vielfach dazu, dass der Kontrollrichter sich überschießend eine inhaltliche Zensur anmaßte und (politische) Schriftstücke als verteidigungsirrelevant einstufte; damit waren sie per definitionem keine Verteidigerpost mehr und wurden dem Empfänger nicht ausgehändigt.

Der Verteidiger jedenfalls wird so pauschal verdächtigt, selbst ein Unterstützer zu sein – folgerichtig wurde auch eingeführt, dass der Kontrollrichter den Verteidiger gegebenenfalls anzeigen muss. §138a StPO sieht dann vor, dass der Verteidiger ausgeschlossen wird, aber nicht nur vom konkreten Verfahren, sondern auch von jedem anderen Verfahren, das seinen Mandanten betrifft, und von allen anderen Verfahren nach §129a. Schon zuvor war §146StPO neu gefasst worden und bestimmte, dass ein Verteidiger in derselben Sache nicht mehrere Beschuldigte verteidigen darf, d. h. wer als Verteidiger einmal ein RAF-Mandat geführt hatte, war von weiteren Verfahren für immer ausgeschlossen, denn bei allen §129a-Verfahren im Zusammenhang mit der RAF ging es um »dieselbe Sache«.

Schließlich wurde für alle diese Verfahren auch eine Sondergerichtsbarkeit geschaffen. Es wurde bestimmt, dass schon in der ersten Instanz die Oberlandesgerichte (OLG) zuständig sind, dort jeweils ein so genannter Staatsschutzsenat, damit »Richter mit besonderer Sachkunde und mit genügend Erfahrung zur Verfügung stehen« (so die Kommentierung des einschlägigen §120GVG). Entsprechend wurde als Anklagebehörde der Generalbundesanwalt bestimmt, also die höchste und zentrale Staatsanwaltschaft der Bundesrepublik Deutschland. Damit war dann gegen alle OLG-Urteile keine Berufung, sondern nur noch eine Revision zum BGH zulässig, der seinerseits dann Interpretation (s. o.) und Anwendung des §129a zentral steuern konnte. Ein sicherlich beabsichtigter Nebeneffekt war, dass die Generalbundesanwaltschaft ihre Erfahrung ständig ausbauen konnte, während ihr in jedem Verfahren neue junge und unerfahrene Verteidiger gegenüberstanden.

Ein ganz wesentliches und immer wieder erklärtes Ziel war und ist aber auch, den Strafverfolgungsbehörden und hier vor allem der Polizei im vorliegenden Zusammenhang ein »Arsenal« an Eingriffsmöglichkeiten zur Verfügung zu stellen. Dies geschieht dadurch, dass in der StPO immer mehr und immer neue Ermächtigungsnormen geschaffen werden, die sich auf §129a StGB beziehen und immer zum Einsatz kommen dürfen, wenn wegen eines Verdachts nach §129a ermittelt wird. Dazu gehört beispielsweise die Einrichtung von polizeilichen Kontrollstellen zur Fahndung, §111 StPO, seit 1978 in Kraft. Schon vorher war die Überwachung von Telefongesprächen zunächst bei (anderen) schweren Straftaten erlaubt worden, §100 a StPO, dann aber natürlich auch bei §129a. Die Ausuferung polizeilicher Befugnisse lässt sich dabei sehr schön allein an der Vielzahl der neuen »100-er«-Paragrafen darstellen: Diese Kette beginnt mit §100a und reicht inzwischen bis zu §100i. Dort ist, ebenfalls abstellend u. a. auf den Zusammenhang mit einem Verfahren nach §129a, der Einsatz so genannter IMSI-Catcher geregelt, so dass man nebenbei feststellen kann, dass diese Kette ihr Wachstum unter anderem natürlich nicht nur dem technischen Fortschritt verdankt, sondern mit ihm auch immer mühelos Schritt hält – ohne Rücksicht auf anders lautende Vorgaben des Grundgesetzes.

Zulässig sind u. a. die akustische Überwachung innerhalb und außerhalb der Wohnung, außerhalb zusätzlich die Observation, und die Erforschung von Telekommunikationsverbindungsdaten.

Änderungen 1987

Weil die »Serie terroristischer Gewalttaten« nicht abriss, wurde dann 1987 §129a selbst geändert und erweitert (Zitat aus der Gesetzesbegründung). Das betrifft zum einen das Strafmaß für Gründung und Mitgliedschaft, das einfach einmal verdoppelt wurde, von 6 Monaten bis zu 5 Jahren auf 1 Jahr bis zu 10 Jahren, womit diese »Taten« zugleich von Vergehen zu Verbrechen »befördert« wurden. Zum anderen wurde der Straftatenkatalog erweitert. Durch neue politische und soziale Schwerpunkte in den 1980er-Jahren – Friedensbewegung, Frauenbewegung, Anti-Atom- und Anti Gentechnologie-Initiativen – gab es nun nicht mehr nur herkömmliche RAF-»Terroristen«, sondern andere und mehr Menschen mussten mit ihren Überzeugungen und Aktivitäten zu Terroristen »umgewidmet« werden. Ein erster Schritt dabei war, beispielhaft, dass mit einem neuen §305a StGB die Zerstörung wichtiger Arbeitsmittel gesondert unter Strafe gestellt wurde; dies zielt auf Sabotageaktionen im Energieversorgungsbereich, aber auch gegen Polizei- und Bundeswehrfahrzeuge. Im zweiten Schritt wurde dann §305a in den Katalog im §129a aufgenommen, das heißt, dass mehrere Menschen, die zusammen einen Strommasten umsägen oder auch nur Überlegungen anstellen, ob dies ein sinnvoller Sabotageakt sein könnte, zugleich eine terroristische Vereinigung sind.

Damit kann dann auch hier das strafprozessuale »Arsenal« ausgeschöpft werden, das seinerseits zugleich um die so genannte Schleppnetzfahndung, §163d StPO, bereichert wurde, also die Möglichkeit, bei grenzpolizeilichen Kontrollen oder an Kontrollstellen (§111 StPO – s.o.) angefallene (Personen-)Daten zu speichern und auszuwerten.

Einmal mehr wurde kritisiert, dass bestimmte Delikte, die nicht genuin »terroristisch« sind (was auch immer man sich darunter vorstellen mag), nur in den 129a-Katalog aufgenommen werden, um auch insoweit das beschriebene Arsenal in Stellung bringen zu können. §129a wurde daher auch als »strafprozessuales passepartout« bezeichnet (Cobler im Rechtsausschuss des BT). Gestützt wird diese Bewertung durch den Befund, dass die Anzahl der Ermittlungsverfahren sich sowohl in den 1980er-Jahren als auch in den 1990er-Jahren jeweils im vierstelligen Bereich bewegte, die Anzahl der Verurteilungen demgegenüber nur im zweistelligen Bereich.

Der Feind steht links…

Es ist beinahe überflüssig, zum Schluss zu erwähnen, dass mit dieser Gesetzesflut fast ausschließlich die Linke im Lande zu ertränken versucht wurde und wird; so richteten sich (in den 1990er-Jahren) etwa 1.500 Verfahren nach §129a gegen Linke, aber nur 30 gegen Rechte.

Anmerkung der RH OG Berlin: Der Text wurde ursprünglich hier veröffentlicht.