§129 – die Lizenz zur totalen Überwachung

Der § 129 ist wohl eine der bekanntesten Rechtsvorschriften des Strafgesetzbuches.

Er tragt unrühmliche Beinamen wie Schnüffel- oder Gesinnungsparagraf. Doch woher kommt diese zweifelhafte Berühmtheit?

Zunächst einmal wird mit Hilfe des Paragrafen die Bildung, Werbung, Unterstützung und Mitgliedschaft in einer „kriminellen Vereinigung“, genauso wie der Versuch der Gründung einer solchen, verfolgt.

Die Definition einer so titulierten Verbindung ist sehr offen gehalten und allein durch ihren Zweck, der Begehung ,,krimineller“ Handlungen definiert. Im Laufe der Jahre wurden dem ursprünglichen §129 noch die Zusatzartikel a und b hinzugefügt, womit sich die Anwendungsbereiche nochmals erweiterten. Dies lasst den Ermittlungsbehörden ein entsprechend weites Feld der Anwendung offen und folgerichtig auch die Möglichkeit einer Konstruktion in, für den Staat interessante, Strukturen.

Das sind nachweislich vor allem linke Zusammenhänge, da diese bestrebt sind den existierenden bürgerlichen Staat und andere gesellschaftliche Machtverhältnisse zu überwinden und aufgrund dieser Tatsache zum dauerhaften politischen Gegenspieler dessen werden. Durch die Überproportional häufige Anwendung des Paragrafen gegen eine bestimmte politische Strömung wird dieser, wie oben angesprochen, zum Gesinnungsparagrafen.

Diesen Strukturen wird dann in der Öffentlichkeit nicht mehr ein auf Emanzipation ausgerichtetes politisches Handeln, sondern ein schlicht ,,gewalttätiges“ ,extremistisches“ etc. unterstellt und ihr Handeln somit auch entpolitisiert und isoliert.

Der zweite Aspekt, welcher die Anwendung des § 129 für staatliche Repressionsorgane bedeutsam macht, ist die mit ihm verbundene Legitimation zur Totalüberwachung. Hierbei spielen zwei Charakteristika des Paragrafen eine wichtige Rolle: Zuerst die Tatsache, dass es sich hier um eine sog. ,Katalogstraftat“ nach § 100a StPO handelt und dass er eine Kollektivstrafe ermöglicht.

Das bedeutet, dass allein die Zurechnung zum Kollektiv der ,,kriminellen oder terroristischen Vereinigung“ strafbar ist und den einzelnen Betroffenen keine weiteren kriminalisierten Handlungen vorgeworfen werden müssen um gegen sie zu ermitteln.

Es können also politisch interessierende Personen in solch eine Vereinigung hinein konstruiert werden und infolge dessen Überwacht werden. So eröffnet der § 100 StPO den Ermittlungsbehörden ein enormes Repertoire an Möglichkeiten, ganze Strukturen zu bespitzeln: Observationen, Lauschangriffe, Telekommunikationsüberwachung, Einsatz verdeckter Ermittler*innen uvm..

Diese werden, rechtlich legitimiert, auch gegen ,,Dritte” angewandt, wodurch sich der Kreis derer, die von Überwachungsmaßnahmen betroffen sind, schnell erweitern kann, was – wie der „Handygate“- Skandal in Dresden zeigte – bisweilen mehrere Zehntausende Menschen umfassen kann.

Die erhobenen und gespeicherten Daten können dann zur Erhebung weiterer Verfahren heran gezogen werden und bescheren den Ermittlungsbehörden somit eine effektivere Repression gegen alle, die nicht so recht nach den Regeln des Staates spielen. In Dresden handelte es sich dabei beispielsweise um militant agierende Antifaschist*innen und Blockierer*innen am 19. Februar 2011.

Eine weitere Funktion, die durch diese Überwachungsmaßnamen erfüllt werden soll, ist das Lähmen der entsprechenden Struktur.

Die Möglichkeit der ständigen Überwachung stellt für Betroffene eine starke psychische Belastung dar und führt deshalb oft zu Desorganisationsprozessen innerhalb der ,Szene“ und daraus folgend zu politischer Wirkungslosigkeit.

Da es bei Verfahren nach § 129 nur in 3,3 % der Falle zu Verurteilungen kommt, erschließt sich hieraus auch der eigentliche Zweck seiner Anwendung; Es geht darum Informationen über unliebsame Bewegungen zu erlangen. Ermitteln um zu ermitteln.

Wie der Name schon sagt ein ,Schnüffelparagraf“

Anmerkung der RH OG Berlin: Der Text wurde ursprünglich hier veröffentlicht