Redebeitrag von der ISD und der RH zu Mannheim und Polizeigewalt

Am 07.05.2022 fand auch in Berlin eine Kundgebung statt in Gedenken an den 47 Jährigen Toden durch Polizeigewalt in Mannheim. Gemeinsam mit der ISD (Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland) haben wir einen Redebeitrag erarbeitet. Hier ist der Beitrag.
Knapp eine Woche nach diesem Vorfall, ist auch am 10.05 eine Person nach einem Polizeieinsatz verstorben. Polizeigewalt ist ein tödliches System, welchem wir alltäglich die Stirn bieten müssen.


Liebe Genoss:innen, Freund:innen und Passant:innen,

ich grüße euch im Namen der ISD, Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland und der Roten Hilfe Berlin. Wir haben uns entschieden am heutigen Tag, einen gemeinsamen Redebeitrag zu erarbeiten. Diese Woche Montag, am 02.05, ist ein Mann durch Polizeigewalt in Mannheim gestorben.

Wir sind heute hier in Berlin versammelt, nicht nur um an dem 47 Jährigen Toden zu gedenken, sondern vor allem um unmissverständlich klar zu machen, dass dieser Vorfall kein Einzelfall ist. Dabei sind wir nicht alleine. Es gab schon Proteste auf der Straße von Mitstreiter:innen in Mannheim, Heidelberg und Frankfurt. Und es werden weitere folgen. Obwohl wir geographisch getrennt sind und eigene lokale Kämpfe führen, vereint uns das klare Ziel nach lückenloser Aufklärung, klaren Konsequenzen und vor allem dass sich solche Vorfälle nirgendwo wiederholen dürfen.

Kurz zur Erinnerung was passiert ist. Ein Psychiatrie-Patient verlässt das Gelände, wird von zwei Polizisten und einem Arzt gesucht und in der Innenstadt gesichtet. Da er sich von den Bullen abwendet, setzten diese Pfefferspray ein. Daraufhin flieht er, wird dann von den Polizisten eingefangen und zu Boden geworfen. Was folgt sind mehrere Schläge ins Gesicht, bis dieser kollabiert. Reanimationsversuch vor Ort scheitern und er verstarb am gleichen Tag im Krankenhaus. Die Aufgabe der Polizei war es nach eigenen Angaben einen Patienten zu schützen.

Es gibt zu dem Vorfall unzählige Videos und Zeug:innen. Staatsanwaltschaft und Polizei versprechen uns nach dem Tod eine lückenlose Aufklärung. Die zwei Polizisten sind vom Dienst suspendiert und es wird wegen des Verdachts der Körperverletzung im Amt mit Todesfolge ermittelt. Es sind Signale die uns beruhigen sollen, denn gleichzeitig duldet der Staat keinen externen Druck und die Polizei präsentiert schon wieder eine Täter-Opfer Umkehrung.

So bezeichnet Rainer Wendt, Bundesvorsitzer der deutschen Polizeigewerkschaft, jegliche externe Forderungen nach Aufklärung als Unfug, da die Polizei gesetzlich dazu verpflichtet sei. Auch der Oberstaatsanwalt von Mannheim, Romeo Schüssler, versichert das keine Einmischung notwendig sei.

Kaum sind die Beileidsbekundungen ausgesprochen, wird auch auf die Feindschaft hingewiesen, dem die Polizei tagtäglich ausgesetzt sei und das der Respekt vor dem Gewaltmonopol in Deutschland am Schrumpfen ist.

Ich frage euch, wie soll Respekt gegenüber Polizist*innen überhaupt aussehen, die Menschen durch Kontrollen und ähnliche Maßnahmen erniedrigen, von öffentlichen Plätzen verdrängen, in Knäste stecken, abschieben, in Demos reinprügeln und immer wieder für Verletzungen und Todesfälle verantwortlich sind? Und letzteres ist kein bedauerlicher Einzelfall, sondern hat System.

Werfen wir doch kurz einen Blick in die Recherchen von der Antirassistischen Initiative, der CILIP und Death in Custody. Seit 1990 sind in Deutschland über 300 Menschen von Polizist:innen erschossen worden, mindestens 209 People of Color und von Rassismus betroffenen Personen sind in Gewahrsam und durch Einsätze gestorben und seit 1993 sind über 670 Menschen an der deutschen Flüchtlingspolitik gestorben.

Und wer bitte kann noch an einer ernsthaften und konsequenten Aufarbeitung durch die Behörden sein blindes Vertrauen schenken? Hätten sich Verwandte, Freund:innen und Aktivist:innen in der Oury Jalloh Initiative nicht zusammengetan und jahrelang gekämpft, dann wüsste von uns Niemand, was überhaupt passiert ist. Seine Name wäre heute nicht so eng verbunden mit der deutschen rassistische Polizeigewalt und zugleich für dessen Widerstand, sondern würde zu den viel wenig bis gar unbekannten weiteren Toten zählen. Es gibt unzählige weitere Beispiele, wie der Staat unfähig und auch nicht gewillt ist, eigenes Töten, unterlassene Hilfeleistung und Fehlverhalten zu bearbeiten, auf die Kosten der Betroffenen. Eine Erfahrung, die auch angehörige vom externen Rechten Anschlägen, wie im Fall von Hanau oder der NSU, immer noch machen müssen. Und das alles nur um die Illusion der Unfehlbarkeit der Exekutive aufrechtzuerhalten.

Wer Polizeigewalt als verhältnismäßig betrachtet, wertet die unzähligen Opfer als unausweichliche Kollateralschäden ab.
Wir, liebe Genoss:innen, tun das nicht.
Wir weigern uns, diese tödliche Gewalt einfach hinzunehmen.
Wir müssen der Polizei in ihrer jetzigen Form ihre Daseinsberechtigung absprechen und für ihre Abschaffung kämpfen.

Sie ist eine reale Gefahr vor allem für Illegalisierten, Schwarze, Obdachlose und Menschen in psysischen Ausnahmesituationen. Für letzteres hat die Polizei weder das nötige Werkzeug, noch die Aufgabe sich deeskalierend zu verhalten, daher reagiert sie oft gewaltvoll und unverhältnismäßig. Hier sei nur an einigen weiteren Opfern solcher tödlichen Einsätze gedacht.

2021, Sivan in Baden-Württemberg ,
2020, Mohamed Idrissi in Bremen und Maria B. in Berlin.
2019, Adel B. In NRW und Aman Alizada in Niedersachsen.

Es braucht ausgebildetes Personal fernab der Exekutive, um solche Situationen angemessen bewältigen zu können und vor allem auch, damit wir nicht jedes Jahr weitere Namen auf die Todesanzeigen hinzufügen müssen.

Die Polizei muss sich strukturell komplett verändern, durch Druck von Außen und von der Straße. Wir selbst müssen ihre „Unantastbarkeit“ in der Praxis durchbrechen. Mischen wir uns ein bei Kontrollen, lasst uns Abschiebungen verhindern und öffentliche, wie alternative Räume verteidigen.

Bei diesen Versuchen, werden wir mit körperlicher und juristischer Repression rechnen müssen. Der Staat verteidigt den Status Quo. Dabei werden auch alle möglichen linken Bewegungen diskreditiert. Das dürfen und werden wir nicht so hinnehmen. Dabei ist es egal, ob organisierte Strukturen und Gruppen ins Kreuzfeuer geraten oder Menschen sich spontan gegen ihre eigene Kriminalisierung wehren oder sich solidarisch einmischen. Wir lassen uns nicht spalten. Niemand darf mit der Repression alleine gelassen werden. Unsere Solidarität muss stärker sein als juristische Tatvorwürfe und polizeiliche Kriminalisierungen.

Nur wenn wir vereint zusammenhalten über lokale und Landesgrenzen hinaus, trotz oder gerade wegen unserer unterschiedlichen Schwerpunkte und Herangehensweise in der alltäglichen Arbeit, können wir langfristig was verändern.

Wir geben uns nicht zufrieden mit leeren Versprechungen, sondern sorgen selbst für eine bessere Zukunft.

No justice no Peace Fight the police