In Gedenken an Marcel – Polizei tötet, Repression statt Aufklärung

Anmerkung: Wir teilen hier ein Statement der Roten Hilfe Berlin, möchten aber alle Genoss:innen dazu aufrufen, am Samstag, dem 02.07 um 18 Uhr nach Schöneweide zu fahren, um gemeinsam an Marcel zu gedenken und für Veränderungen zu kämpfen. Mehr dazu findet ihr bei dem Aufruf der A-Küche.

Am 20.04.22 wurde Marcel, ein obdachloser Mensch in Schöneweide von Bullen angegriffen und verstarb später an den Verletzungen1. Er schlief mit zwei Freunden im Innenhof eines Hauses der Brückenstr. als die Polizist:innen alle drei vertreiben wollten. Er hatte eine starke Beinverletzung und konnte daher nicht schnell genug aufstehen. Die Bullen zogen an seinem Bein, prügelten ihn bewusstlos und setzen Pfefferspray ein. Marcel wurde reanimiert und kam ins Krankenhaus wo er am 27.4.22 mit 39 Jahren an den Folgen des brutalen Polizeiangriffs verstarb2.
Es liegt nah, dass Aufgrund des öffentlichen Drucks einer lokalen Initiative, die Staatsanwaltschaft Berlin mittlerweile gegen zwei Beamte ermittelt wegen Körperverletzung mit Todesfolge4. Hinzu kommt, dass die Verletzungen so eindeutig sind, dass sie nicht durch die Obduktion ausgeschlossen werden konnten3,

Diese Gewalt hat System und eine klare Kontinuität. Sie ist weder geographisch, noch zeitlich begrenzt. Denken wir nur an die zwei Todesfälle durch Polizeieinsätze diesen Mai in Mannheim5. Oder auch an Maria B6., welche 2020 in ihrer Wohnung umgebracht wurde, Ferhat Mayouf7, der im selben Jahr in seiner Zelle verbrannte oder auch an Hussam Fadl8, der 2016 von hinten erschossen wurde, nur um einige wenige zu nennen. Ein weiterer Blick, beispielsweise in die Recherchen von der Antirassistischen Initiative9, der Zeitschrift CILIP10 und der Kampagne Death in Custody11 widerlegen klar, dass tödliche Polizeigewalt bedauerliche Einzelfälle sind. Das tragische an Marcels Fall ist, dass er in keiner der drei Recherchen aufgelistet wird, da er weder von Rassismus betroffen war, noch erschossen wurde. Die Dunkelziffer aller Fälle dürfte viel höher liegen.

Da die Polizei und und andere staatliche Institutionen nicht gewillt oder gar fähig sind, (lebens)notwendige Konsequenzen zu ziehen, sind sie natürlich auch nicht an einer lückenlosen Aufklärung interessiert.12

Angehörige, Freund:innen und Aktivist:innen, welche das staatliche Narrativ vom Selbstmord, der Notwehr oder dem bedauerlichen Einzelfall nicht unhinterfragt hinnehmen wollen, werden schnell kriminalisiert. Eine der wohl bekanntesten Initiativen, in Gedenken an Oury Jalloh, hat eine sehr aufschlussreiche und gut dokumentierte Auflistung der erfahrenen Repression erstellt13.

Leider ist es diesmal nicht anders. So wurden beispielsweise zwei Aktivist:innen, welche am 23.05. mit einem Plakat auf die Polizeigewalt vom 20.04. aufmerksam machen wollten, von Zivilbeamten verfolgt und bei der Festnahme mit ausgestreckter Dienstwaffe bedroht14. Am 03.06. versuchten Polizist:innen eine am Tatort abgehaltene Gedenkveranstaltungzu unterbinden15. Doch damit nicht genug. Einer der zwei Freunde von Marcel, wurde von der Kriminalpolizei auf der Straße aufgesucht und an Ort und Stelle verhört. Dabei versuchten sie ihn einzuschüchtern und Informationen über die Aktivist:innen der A-Küche zu bekommen16.

Solche Reaktionen der Polizei zeigen, dass die Zeugenberichte, Aufklärungs- und Öffentlichkeitsarbeit und Vernetzung von Freund:innen, Nachbar:innen, Aktivist:innen und Genoss:innen ihr ein Dorn im Auge ist. Und genau deshalb müssen diese Bemühungen und Kämpfe fortgeführt werden.

Die Polizei wird sich nur strukturell verändern durch Druck von außen und von der Straße. Als Rote Hilfe begrüßen wir alle Versuche ihre „Unantastbarkeit“ im Alltag zu durchbrechen. Sei es durch Einmischungen, wenn sie Menschen kontrollieren oder Obdachlose drangsalieren, durch das Schaffen alternativer Räume oder so wie hier, durch Aufklärung über Polizeigewalt. Wir geben uns nicht zufrieden mit leeren Versprechungen, sondern sorgen selbst für eine bessere Zukunft.

Als linke strömungsübergreifende Antirepressionsstruktur sind wir der klaren Ansicht, dass niemand mit der Repression alleine gelassen werden darf. Lasst uns diejenigen unterstützen, die für eine wahrhafte Aufklärung der Todesumstände ihrer Angehörigen, Freund:innen, Nachbar:innen oder Mitmenschen kämpfen. Daher rufen wir alle Genoss:innen dazu auf, am 02.07. nach Schöneweide zu fahren.

Solidarität ist unsere Waffe gegen ihre Repression.

Quellen / Anmerkungen

1https://akueche.blackblogs.org/2022/06/14/nach-der-trauer-kommt-die-wut-aufruf-zur-demo-am-2-7-2022-fuer-marcel/

2https://taz.de/Tod-eines-Obdachlosen/!5859689/

3Hier sei angemerkt, dass die Informationen und Interpretationen von Bullen mit sehr viel Vorsicht zu genießen sind. Als ein interessantes aktuelles Beispiel, ist der zweite Todesfall in Mannheim. Die Obduktion ergab, dass die abgegeben Schüsse der Polizei keinen Einfluss auf die Todesursache gehabt hätten. Offiziell gilt als Todesursache ein hoher Blutverlust infolge seiner Selbstverletzungen. https://www.mannheim24.de/mannheim/polizei-einsatz-mannheim-waldhof-mann-tod-marktplatz-lka-stellungnahme-ermittlung-91538036.html

4https://www.berlin.de/generalstaatsanwaltschaft/presse/pressemitteilungen/2022/pressemitteilung.1219006.php

5https://www.mannheim24.de/mannheim/polizei-einsatz-mannheim-waldhof-mann-tod-marktplatz-lka-ermittlung-stellungnahme-91538036.html

6http://www.abc-berlin.net/maria

7https://criminalsforfreedom.noblogs.org/ferhat-mayouf/

8https://kop-berlin.de/beitrag/presseerklarung-der-kampagne-gerechtigkeit-fur-hussam-fadl-teilerfolg-im-fall-der-erschiessung-von-hussam-fadl-durch-die-polizei

9https://www.ari-dok.org/webdokumentation/

10https://polizeischuesse.cilip.de/

11https://doku.deathincustody.info/

12Mehr zu dieser Einschätzung:
https://www.berlin.rote-hilfe.de/warum-polizeigewalt-kein-einzelfall-ist-und-ihre-bekaempfung-kein-trend-sein-darf/
https://deathincustody.noblogs.org/post/2022/01/24/rueckblick-auf-die-death-in-custody-kampagne/

13https://initiativeouryjalloh.wordpress.com/2020/06/07/chronologie-im-fall-oury-jalloh-von-2005-bis-2020/

14https://nitter.net/alte_zecke/status/1530484351586258945

15https://akueche.blackblogs.org/2022/06/08/unser-nachbar-marcel-ist-verstorben-wir-gedenken/

16https://nitter.net/alte_zecke/status/1540076291034157060